Klaus v. Welser: Erinnerung an Ingeborg Bachmann
Woher diese unglaubliche Sicherheit der Verse?
Wasser
weiß zu reden,
die
Welle nimmt die Welle an der Hand.
Wie konnte sie solche Zeilen schreiben, wo doch in ihrem Leben alles ungesichert war? Es gab für sie keinen verläßlichen finanziellen Rahmen und keine gerahmten Beziehungen. Sie schrieb Lieder auf der Flucht. Flüchtig schrieb sie keineswegs. War das Auftreten unsicher, waren die Telefonate verwirrt – die Gedichte waren pfeilgerade. Wie ging das? Wie konnte denn die Welle, das Flüchtigste die Welle an der Hand nehmen?
Vielleicht war Verwirrtheit ein Gestus, und Unsicherheit eine Strategie? Denn das Rollenspiel des Mannes hieß, Sicherheit verbreiten, und Verbreiten war oft Expansion und Vereinnahmung. Das Rollenspiel der Frau verlangte, Schutz suchen und eigene Sicherheit verheimlichen.
Doch die Gesicherten sind ängstlich, sonst würden sie nicht sichern müssen. Sei verharren bis zur Erstarrung:
Die
Toten, an mich gepreßt,
schweigen
in allen Zungen.
Sie entzieht sich und erzählt uns
von
einem, der das Fürchten lernen wollte
und
fortging aus dem Land
Denn Fürchten ist das (vielleicht das Einzige), das die Gesicherten nicht gelernt haben. Daher immer wieder Aufbruch, Ausfahrt, Abschied:
In
einer großspurigen Zeit
muß
man rasch von einem Licht
ins
andre gehen, von einem Land
ins
andre
Gehen erscheint ihr besser (um nicht zu sagen schöner) als Stehen oder Bleiben, und sie bittet die Nacht:
daß
ich leichter geh
Heute können die Verse von Ingeborg Bachmann wie ein Motto auf dieses Jahrhundert der Flüchtlinge gelesen werden:
Die
Himmelsrichtung? Und die Wendekreise?
Du
fragst noch? Nimm dein feurigstes Gespann,
fahr
diesen Erdball ab, roll mit den Tränen
die
Welt entlang! Dort kommst du niemals an.
Also kein Ziel? Doch, aber kein Territorium, es geht
in
ein unbeschriebenes Land
Worauf sie zielt, ist eine „Landnahme“ (so ein Gedichttitel) eigener Art. Es geht um die Dichtung selbst
lebendig
das Wort, das die Welt gewinnt
Der Gewinn ist jedoch nicht als Weltersatz zu verstehen, als seelische Vertröstung für realen weltlichen Verlust. Wenn einst Hofmannsthal den Dichter mit der Spinne verglichen hat, „aus dem eigenen Leib den Faden hervorspinnend, de über den Abgrund des Daseins sie trägt“, so konnte dieses Bild als Chiffre für die Autonomie der Kunst ebenso wie für eine L’art-pour-l’art-Philosophie aufgefaßt werden. Sie mag auch hier gelten. Aber Ingeborg Bachmann geht deutlich weiter mit einer wohltuenden Aggressivität:
was
wahr ist, zieht der Erde einen Scheitel
Dichtung ist wahr. Sie meint die Welt. Sie hat den Auftrag. Und sie packt es:
von
meinen Worten umklammert
die
Erde
Die Frage heißt also nicht, woher diese Verse, sondern – und das ist die Antwort – : wohin. Aus diesem Ziel erklärt es sich.
(aus: Staatstheater Darmstadt, 1998, Programmheft 35 zu:
Gegenwart – Ich brauche Gegenwart. Ein Ingeborg-Bachmann-Projekt von Birgitta Trommler, Musik von Moritz Eggert)